Das Erwartungsmonster zwischen uns

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Das Erwartungsmonster drängt sich zwischen uns

Wie Bindungsangst zu einer unsichtbaren Mauer wird

Es gibt kaum etwas Schmerzhafteres als eine Beziehung, in der sich zwei Menschen voneinander entfernen, ohne es wirklich zu wollen. Du liebst deinen Partner, du möchtest, dass es funktioniert, und doch spürst du eine unsichtbare Distanz, die immer größer wird. Besonders dann, wenn beide Partner Bindungsängste mitbringen, entsteht oft ein unbewusstes „Erwartungsmonster“ – eine unsichtbare Kraft, die immer weiter wächst und die Beziehung langsam vergiftet.

Der Anfang: Die Hoffnung auf Nähe – aber bitte ohne Risiko

Am Anfang der Beziehung sieht alles noch gut aus. Du fühlst dich hingezogen zu deinem Partner und es scheint, als würde alles passen. Doch ganz unbewusst bringst du Erwartungen mit, die du selbst kaum wahrnimmst. Du möchtest Nähe, aber ohne Verletzlichkeit. Du willst Verbindung, aber ohne den Schmerz von Ablehnung oder Enttäuschung. Gleichzeitig projizierst du all diese Wünsche auf deinen Partner – in der Hoffnung, dass er dir all das gibt, was du selbst dir nicht geben kannst.

Auch dein Partner hat seine eigenen Ängste und Erwartungen. Und so entsteht langsam ein Muster. Beide wollen Nähe, aber beide haben Angst, sich wirklich zu öffnen. Jede vermeintliche Enttäuschung, jedes Missverständnis wird zum Beweis dafür, dass der andere nicht wirklich für dich da ist. Und so wächst das „Erwartungsmonster“ – ein Sammelsurium aus unausgesprochenen Wünschen und Ängsten, das sich zwischen euch drängt.

Was ich mit dem Erwartungsmonster meine ist eine Macht, die zwischen euch wirkt, und ein Eigenleben entwickelt. Da beide Partner sich nicht wirklich zeigen, und eine scheinbar liebenswertere Rolle von sich spielen, begegnen sich nur die Masken, welche später zum Monster werden. Eine echte Beziehung findet nicht statt, denn das Erwartungsmonster steht zwischen den beiden.

Ich, und Du, und unser Erwartungsmonster

Ein Beispiel eines Beziehungsmonsters im echten Leben. Die Masken stehen stellvertretend für das Monster.

  • Was ich glaube, was mein Partner von mir erwartet, hat nichts mit meinem Partner zu tun, sondern mit meiner Prägung, also mit meiner Maske.
  • Was ich glaube, was mein Partner an mir ablehnt, hat nichts mit meinem Partner zu tun, sondern mit meiner Unsicherheit, also mit meiner Maske.
  • Was ich glaube von meinem Partner zu wissen, hat nichts mit ihm persönlich zu tun, sondern mit dem was er mir von sich zeigt, und seinen Schutzstrategien, also mit seiner Maske.
  • Was ich von meinem Partner erwarte, hat nichts mit ihm zu tun, sondern mit meinen Unsicherheiten, und meiner inneren Leere, die ich nicht zu füllen vermag, und damit mit meiner Maske.
  • Was ich in meinem Partner sehe, ist nicht das was er ist, sondern dass was er sich wagt, mir zu zeigen. Das ist seine Maske, und meine Interpretation.
  • Meine Angst vor Konfrontation hat nichts mit seiner Übermacht zu tun, sondern mit meinem Harmoniebedürfnis und meiner Interpretation von Wut und Gewalt, also mit meiner Maske.
  • Mein unterdrückter Frust auf meinen Partner, weil ich in der Partnerschaft nicht ich selbst sein darf, hat nichts mit ihm zu tun, weil ich mir aus Angst vor Ablehnung selbst verbiete, so zu sein wie ich bin. Das ist meine Maske.
  • Das was ich glaube, was an der Partnerschaft nicht gut ist, hat mehr mit unseren Masken zu tun als mit uns, denn ich hatte nicht den Mut, dich kennenzulernen, und mich zu zeigen.
  • Alle vorherigen Punkte wirken zusätzlich entgegengesetzt von meinem Partner auf mich.

Das Monster unserer Masken und Annahmen steht immer zwischen uns. Für Beziehung gibt es weder Raum noch Mut.

Bindungsängstliche Partnerschaften bestehen meist aus einem anklammernden- und einen vermeidenden Partner. Zwei gegensätzlich erscheinende Muster, die doch die gleiche Angst in sich tragen. Wir glauben zu wissen was der Partner erwartet und passen uns an – oder wir verweigern die Anpassung durch Rebellion. Doch echte Begegnung durch konstruktive Konfrontation und Intimität findet nicht statt. Das Monster versperrt den Zugang.

Das ständige Auf und Ab – Nähe und Rückzug

Das Problem in einer Beziehung zwischen zwei Menschen mit Bindungsangst ist, dass der Wunsch nach Nähe ständig mit dem Bedürfnis nach Rückzug konkurriert. Du sehnst dich nach deinem Partner, doch sobald die Nähe da ist, entsteht das Gefühl, erdrückt zu werden. Also ziehst du dich zurück. Dein Partner spürt das, fühlt sich verletzt oder abgelehnt, und reagiert seinerseits mit Rückzug oder einer fordernden Haltung. Es ist wie ein Tanz, bei dem beide ständig die Position wechseln – mal derjenige, der mehr Nähe will, mal der, der sie scheut.

Ein Beispiel:

Lisa und Tom sind seit zwei Jahren zusammen. Beide haben eine schwierige Kindheit hinter sich, in der sie nie gelernt haben, sich wirklich sicher und geborgen zu fühlen. Anfangs ist die Beziehung leidenschaftlich und aufregend, doch mit der Zeit schleichen sich immer mehr Unsicherheiten ein. Lisa spürt, dass Tom emotional abwesend ist, wenn sie ihn wirklich braucht, und beginnt ihn unbewusst zu testen. Sie zieht sich zurück, ist plötzlich zynisch und abweisend, in der Hoffnung, er würde um sie kämpfen. Doch Tom, selbst mit tiefsitzender Bindungsangst, reagiert, indem er sich noch mehr verschließt. Und so wächst das Erwartungsmonster weiter.

Die unsichtbare Mauer – Erwartungen, die unerfüllt bleiben

Je mehr du von deinem Partner erwartest, desto mehr setzt du ihn unter Druck. Und je mehr er sich diesem Druck ausgesetzt fühlt, desto mehr wird er unbewusst genau das Gegenteil tun. Wenn beide Partner bindungsängstlich sind, wächst dieses Muster exponentiell. Jeder Schritt aufeinander zu wird von der Angst überschattet, enttäuscht zu werden. Und jedes Mal, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, wird die Mauer zwischen euch beiden höher.

Das Erwartungsmonster wächst – und mit ihm die Distanz zwischen euch. Anstatt euch wirklich zu begegnen, begegnet ihr nur noch euren Ängsten und Projektionen. Der andere wird zur Projektionsfläche für all das, was in dir selbst ungelöst ist. Irgendwann fühlt es sich so an, als würdet ihr in zwei unterschiedlichen Welten leben, obwohl ihr euch doch so nah seid.

Der Ausweg – Erkennen und entwaffnen

Das erste, was du tun kannst, um das Erwartungsmonster zu besiegen, ist, es zu erkennen. Frage dich ehrlich: Welche Erwartungen habe ich an meinen Partner? Welche davon sind unausgesprochen? Und wie viele dieser Erwartungen sind wirklich fair oder realistisch?

Der nächste Schritt ist, Verantwortung für deine eigenen Ängste zu übernehmen. Es ist nicht die Aufgabe deines Partners, deine Ängste zu heilen oder dir jene Sicherheit zu geben, die du dir selbst nicht geben kannst. Ebenso wenig ist es deine Aufgabe, den Erwartungen deines Partners zu entsprechen. Es geht darum, dass beide lernen, ihre Ängste zu erkennen, zu benennen und dann offen darüber zu sprechen.

Es geht darum, das Monster mit Mut und tiefgründigen Gesprächen zu unterwandern. Das Monster verzieht sich, wenn du anfängst deine Maske wahrzunehmen. Hinterfrage eigene Glaubenssätze, und sprich mit deinem Partner über all die Dinge, die du glaubst zu wissen.

Lisa und Tom könnten lernen, ihre Ängste und Wünsche auszusprechen, ohne den anderen dafür verantwortlich zu machen. Wenn Lisa zum Beispiel sagt: „Ich habe Angst, dass du mich nicht wirklich liebst, wenn du dich zurückziehst“, anstatt ihn unbewusst zu bestrafen, könnten beide eine neue Ebene der Kommunikation erreichen. Tom könnte antworten: „Ich ziehe mich zurück, weil ich Angst davor habe, mich in deinen Erwartungen zu verlieren, weil ich nicht gut genug für dich bin.“ Solche Gespräche, auch wenn sie schwer sind, helfen, das Erwartungsmonster Stück für Stück zu entwaffnen.

Fazit – Das Erwartungsmonster enttarnen, bevor es zu spät ist

Bindungsangst ist tückisch, weil sie sich nicht wie Angst anfühlt. Oft tarnt sie sich als Ärger, Frust oder Rückzug. Doch wenn zwei Menschen mit Bindungsangst aufeinandertreffen, entsteht fast immer ein unsichtbares Monster, das sich zwischen die beiden drängt, stetig wächst, und die Beziehung langsam zerstört. Der einzige Weg, dieses Monster zu besiegen, ist es zu enttarnen, und damit in dein Bewusstsein zu bringen. Solange es im unbewussten haust, gibt es kaum eine Chance auf echte Verbindung. 

Erst wenn dich dieses Erwartungsmonster nicht mehr beherrscht, sonder du es erkennst, annimmst, und kultivierst, werdet ihr euch wirklich begegnen. Das eröffnet die Chance sich den eigenen Ängsten zu stellen, offen zu kommunizieren und zu erkennen, dass echte Nähe nur durch Verletzlichkeit und Ehrlichkeit möglich ist.

Statt auf Erwartungen zu bauen, solltest du lernen, in deiner Beziehung präsent zu sein – ohne Angst vor Ablehnung oder Enttäuschung. Das ist kein Schalter, sondern eine Entwicklung mit vielen Rückschlägen, und doch ist es der Schlüssel zu einer gesunden und erfüllten Partnerschaft. Es ist der Weg, vielleicht zum ersten Mal im Leben wirklich in Beziehung zu gehen, trotz – oder gerade wegen deiner Angst vor Verletzung.

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Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Bettina Thormann

    ………Du willst Verbindung, aber ohne den Schmerz von Ablehnung oder Enttäuschung…. nein genau das suche ich mir immer wieder aus, das zieht mich an…..selbst Streiten in den ersten Tagen des Kennenlernens machte mir bisher nichts aus.
    Das möchte ich aber ändern, denn tief in mir verletzt mich dieser Streit , aber es ist wie ein Magnet immer und immer wieder fühle ich mich hingezogen zu einem Menschen der mich zurückweist und verletzt. Dabei bin ich sonst ein selbstständiger Mensch und meistere mein Leben. Jetzt leider wiederkommst allein.

    1. Uwe Krämer

      Liebe Bettina,
      Wir fühlen uns unbewusst zu Partnern hingezogen, bei denen unsere ebenfalls meist unbewussten Schutzstrategien funktionieren. Da wir diese Strategien und Glaubenssätze oft in der Beziehung mit unseren Eltern erlernt haben, erschaffen wir uns eine Beziehung, in welcher wir uns wieder genauso klein und ohnmächtig wie damals fühlen. Ein Partner, der dich so annimmt wie du bist, und dir zuvorkommend wie respektvoll entgegentritt, würde dich aktuell sehr warscheinlich langweilen, wenn du ihn überhaupt wahrnimmst.
      Sobald wir uns der unbewussten Handlungsweisen und Motivatoren bewusst werden, verändert sich unsere Wahrnehmung, und unser Fokus.
      Wenn du magst sehen wir uns das zusammen an.

      Liebe Grüße, Uwe

  2. Valentina

    Eine Beziehung ist ein Work in Progress, und das ist auch toll. Danke Dir lieber Uwe für diese plastische, eingängige Beschreibung, was passiert, wenn man dem anderen Menschen die Lösung der eigenen Probleme überhilft, anstatt bei sich anzufangen mit Selbstreflektion. Danke auch für die Beschreibung der Lösung, die ich für mich radikale Wahrhaftigkeit und radikaler Respekt (vor mir und dem Anderen) nenne. Radikal, weil das „Ausputzen“ der Monster anstrengend ist und weh tut, aber wirklich unendlich lohnenswert.

    1. Uwe Krämer

      Liebe Valentina,
      Was du schreibst ist ein tolles Beispiel dafür, wie Beziehung funktionieren kann. Und ja, es ist anstrengend, und es tut oft weh, doch genau das ist es, was wir lernen dürfen. Sich verletzlich zu zeigen, verletzt zu werden, und zu spüren, dass wir daran wachsen können – das dies nicht unser Ende ist – sondern der Anfang von etwas neuem. Hinter jeder Angst liegt ein Schatz verborgen. Der Respekt ist oft das erste was der Beziehung zum Opfer fällt – erst vor mir selbst und dann vor dem Partner. Umso mehr ziehe ich den Hut vor deinem radikalen Ansatz – auf dass dies für viele Inspiration und Vorbild ist.

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