Ich will das nicht wahrhaben! Warum Verlustängstliche sich die Beziehung schönreden, und Bindungsängstliche die Fehler suchen.

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Schutzmechanismus Selbstbetrug: Warum dein Herz an etwas festhält, das dein Verstand nicht wahrhaben will

„Es ist gar nicht so schlimm“, sagt sich Lisa, während sie auf die nächste Nachricht von Tom wartet. 

Die letzte war knapp, kühl – ganz anders als am Anfang. Aber vielleicht hat er nur Stress? Vielleicht braucht er einfach mehr Zeit? Vielleicht liebt er mich ja doch, nur auf seine eigene Weise? Lisa findet tausend Gründe, warum alles gar nicht so schlimm ist. Die Vorstellung, dass sie für jemanden kämpft, der sich innerlich längst distanziert hat, kann sie nicht wahrhaben.

Tom hingegen sitzt in seiner Wohnung, sein Blick auf Lisas letzte Nachricht gerichtet. Sie fragt, ob sie sich am Wochenende sehen. Eigentlich freut er sich auf sie – oder? Dann erinnert er sich an ihr Lächeln gestern. War das nicht zu fordernd? Und hat sie ihn nicht ein bisschen zu lange umarmt? Irgendwie fühlt es sich an, als wolle sie ihm zu nah kommen. Tom spürt einen leichten Widerstand in sich. „Vielleicht ist sie doch nicht die Richtige“, denkt er. „Vielleicht klammert sie zu sehr.“

Zwei Menschen, zwei Schutzmechanismen. Lisa, die Verlustängstliche, redet sich die Beziehung schön. Tom, der Bindungsängstliche, sucht die Fehler.

 

Realitätsverzerrung als Schutzstrategie

Warum passiert das? Warum hält der eine an der Hoffnung fest, während der andere in den Zweifeln versinkt? Die Antwort liegt in unserer selektiven Wahrnehmung – dem, was wir bewusst oder unbewusst ausblenden, um unser inneres Gleichgewicht zu wahren.

💔 Verlustängstliche Menschen können nicht wahrhaben, dass sie in einer emotional unerfüllten Beziehung stecken. Sie interpretieren Distanz als Herausforderung, als Phase, als Beweis dafür, dass sie nur noch mehr tun, noch mehr kämpfen müssen.

💔 Bindungsängstliche Menschen wollen nicht wahrhaben, dass sie geliebt werden, ohne sich selbst verlieren zu müssen. Sie erleben die Nähe als Bedrohung und suchen unbewusst nach Fehlern, um sich den Ausweg offen zu halten.

Es ist eine Art psychologischer Selbstschutz. Wenn ich die Realität nicht wahrhaben will, kann ich in meiner gewohnten Strategie bleiben. Lisa hält an Tom fest, weil das Verlassenwerden für sie unerträglich wäre. Tom hält Abstand, weil er glaubt, in der Nähe seine Freiheit zu verlieren.

 

Exkurs in die menschliche Wahrnehmung.

Tatsächlich ist es uns Menschen nicht möglich, die objektive Realität wahrzunehmen. Unsere Sinnesorgane und unser Gehirn sind dafür nicht geschaffen.

Um in der Informationsflut nicht unterzugehen, wird der Großteil der Eindrücke ausgeblendet oder verfälscht. Wir sehen nur einen winzigen Ausschnitt der Realität. Es ist überwiegend der Teil, der mit unserem Selbstbild, und unserem Weltbild übereinstimmt.

Dieses Welt- und Selbstbild wird maßgeblich in unserer frühesten Kindheit geprägt. Demnach ist unser Gefühl in der Bindung zu unseren Eltern, ein elementarer Teil unserer Realität. Ebenso das Weltbild, das uns unsere Eltern vermittelt und vorgelebt haben.

Wenn wir also – wie Lisa – schon von klein auf kämpfen mussten, um gesehen oder geliebt zu werden, suchen wir uns unbewusst Partner, die diese kindlich interpretierte Realität bestätigen.

Das gleiche gilt, wenn wir wie Tom als Kind interpretiert haben, dass wir es alleine schaffen müssen, und die Verantwortung für die Bindung (zu den Eltern) übernommen haben. Daraus könnte eine Allergie gegen Verantwortung hervorgehen. Ebenso eine Rebellion gegen säntliche Erwartungen.

 

Der Weg aus der Selbsttäuschung

Wie kann man diese Muster durchbrechen?

👉 Für Verlustängstliche:

  • Hör auf, das Verhalten deines Partners zu entschuldigen. Sieh hin: Fühlst du dich geliebt – oder hoffst du nur darauf?
  • Stell dir vor, eine enge Freundin wäre in deiner Situation. Was würdest du ihr raten?
  • Lerne, Ungewissheit auszuhalten. Dein Wert hängt nicht davon ab, ob jemand bleibt oder geht.

👉 Für Bindungsängstliche:

  • Hinterfrage deine Fluchtreflexe. Ist dein Partner wirklich „zu viel“ – oder fühlt sich Nähe einfach ungewohnt an?
  • Erkenne, dass Zweifel manchmal ein Schutzmechanismus sind. Was wäre, wenn du die Beziehung einfach geschehen lässt?
  • Lerne, echte Intimität von Vereinnahmung zu unterscheiden. Nähe ist kein Gefängnis.

👉 Für Beide:

  • Wie alt bist du, wenn du Hoffnung, Angst und Zweifel spürst? Wechsle vom unbewussten Autopiloten in dein erwachsenes Ich. Gibt es einen guten rationalen Grund, so zu handeln und zu fühlen, wie du es tust?
  • Verändere deine Perspektive. Wie fühlt es sich an, wenn du die Situation aus den Augen deines Partners wahrnimmst? Und wie, wenn du sie als unbeteiligter Beobachter betrachtest?
 

Fazit: Die Wahrheit tut weh – aber sie befreit

Erst wenn ich die Realität annehme, kann ich sie verändern oder anders damit umgehen.

Lisa könnte anfangen zu sehen, dass sie Tom nicht retten kann. Dass er emotional nicht verfügbar ist – und dass ihr Wert unabhängig von seiner Aufmerksamkeit, oder seinem Verhalten ist.

Tom könnte erkennen, dass seine Angst vor Nähe und Verantwortung nicht bedeutet, dass Lisa die Falsche ist. Dass Liebe nicht bedeutet, sich selbst aufzugeben – sondern sich zu zeigen, genau so wie man eben ist. Außderdem könnte er sich vor Augen führen, dass Lisa nicht Mama und Papa ist.

Die Wahrheit aus einer erwachsenen Perspektive zu sehen, kann schmerzhaft sein. Aber sie ist der einzige Weg in eine Beziehung, die wirklich erfüllend ist. Bist du dir das wert?

Mach dir dein Leben schön

Dein Uwe

 

P.S. Zu vielen Themen gebe ich ganz private Einblicke in mein Leben und mein Learning. Falls dich das interessiert klicke unten auf den roten Button „+ Wie das Thema der Woche  mich betrifft“

Wie das Thema der Woche  mich betrifft

Mach dir deine Beziehung schön,

Dein Uwe

In meinen vergangenen Beziehungen war ich abwechselnd in der verlustängstlichen oder bindungsängstlichen Rolle gefangen. Denn je nachdem ob ich autonomer bin als meine Partnerin, oder anders herum, kann diese Rolle wechseln. Sie kann sich sogar in einer Beziehung vertauschen, sobald der Nähe-Suchende seine Hoffnung verliert, und sich zurückzieht.

Wenn die Partnerin autonomer war als ich, habe ich die volle Verantwortung für die Beziehung übernommen, mir die Fehler und Schwächen der Partnerin schöngeredet und unendlich viel Verständnis für ihr destruktives Verhalten aufgebracht.

Wenn ich der autonomere Teil war, suchte ich unablässig nach Fehlern, und machte sie Lupenhaft größer als sie sind. Natürlich sprach ich diese Fehler nicht an, denn dazu müsste ich ja in meine Wut gehen, die mir nicht zur Verfügung stand. Stattdessen grenzte ich mich auf passiv aggressive Weise hart von ihr ab.

Verlustangst

Grundlegend kann ich rückblickend sagen, dass die verlustängstliche Rolle schwerer zu ertragen ist. Immerhin trage ich hier die ganze Verantwortung, weil ich glaube für das Gelingen der Beziehung zuständig zu sein. Solange ich die Hoffnung nicht aufgebe, kann ich mich immer weiter verbiegen, weil ja ganz offensichtlich ich der Fehler bin. 

Tatsächlich hat aber der Bindungsängstliche Teil die volle Kontrolle über Nähe und Distanz, sowie über die Sexualität. Ich konnte nicht wahrhaben, dass ich diese Dynamik duch mein Verhalten verstärkte.

Die Prägung spielt hier die tragende Rolle, denn dieses Gefühl, dass Liebe an Bedingungen geknüpft ist kenne ich aus meiner Kindheit. Ich muss etwas tun, um die scheinbar unerreichbaren Eltern an mich zu binden.

Bindungsangst

Die bindungsängstliche Rolle ist allerdings auch nicht einfach. Im Grunde geht es um die gleiche Prägung, nur dass ich mir eine Anpassungsallergie eingefangen habe. Ich tue alles, um mich nicht vereinnahmen zu lassen. Ich suche Fehler und Schwächen, und empfinde Nähe als Bedrohung meiner Autonomie. Ich wollte es nicht wahrhaben, dass Beziehung und Freiheit vereinbar sind

Die Überzeugung, dass ich mich in der Beziehung verliere, weil die Anpassung so schmerzhaft ist, ist nur die halbe Wahrheit. Ich habe schließlich auch die Erfahrung gemacht, dass die Anpassung nicht zu mehr Nähe führt, sondern zu mehr Schmerz, wenn es dann doch zum Bruch kommt.

Und dieser Bruch wird zwangsläufig kommen, sobald die Partnerin meine Maske durchschaut. Denn die Überzeugung, dass ich nicht gut genug, oder nicht liebenswert bin, sitzt tief.

Je mehr Abstand ich halte, desto weniger tut die Trennung weh, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie mich durchschaut, ist aus der Distanz geringer.

Die Wahrheit…

…liegt wie so oft zwischen den beiden Lagern. Allein das Spiel zu durchschauen hat bei mir schon viel bewegt. Mich in den kritischen Situationen zu hinterfragen war ein weiterer großer Schritt. Doch der schwierigste Teil war es, die Angst durch Vertrauen zu ersetzen.

Durch das Vertrauen in mich selbst, dass ich auch ein Scheitern überleben werde – und durch das Vertrauen in meine Partnerin, dass sie mich so liebt wie ich bin. Denn sie ist eben nicht Mama und Papa, und ich kann diesmal, anders als in der Bindung zu meinen Eltern, auf Augenhöhe kommen – sobald ich mich dazu entschließe.

 

Wo könntest du mehr vertrauen, wo du heute noch von Angst beherrscht wirst?

Wie alt bist du, wenn du diese Angst spürst?

Welche Glaubenssätze spielen dabei eine Rolle?

Ist das heute wirklich noch wahr?

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Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Nicole

    Wunderbar erkenne mich daran so sehr wieder. Mich würde interessieren wie man das zusammen schaffen kann. Was es braucht, dass man zusammen als Paar auch eine Chance hat, denn es ist auch Liebe dabei, sie ist aufgrund dieser Muster dann nur eben in Schieflage geraten. Merci Uwe!!! 🍀🍀🍀

    1. Uwe Krämer

      Hey liebe Nicole,
      Dankeschön für deine Zeilen. Zunächst tut es sicher gut zu wissen, dass ihr mit diesem Thema nicht alleine seid. Wenn die Liebe wirklich noch von beiden Seiten da ist, ist Reden die beste Medizin. Nicht darüber, wie der andere sich verhalten sollte, sondern darüber, was in dir abgeht, wenn du so handelst wie du es tust. Zuhören und verstehen, ohne zu beschwichtigen oder zu werten. Das ist ein guter Anfang.

  2. Julia

    Vielen Dank für diesen sehr interessanten Beitrag! Erklärend und konstruktiv zugleich. Schön auch die persönliche Note zum Schluss. Danke für diese Ehrlichkeit!

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