Was du selbst nicht fühlen willst, aber deinem Partner zumutest!
Die Täter-Opfer-Umkehr bei Bindungsängstlichen. Eine Beziehung ist für Menschen mit Bindungs- oder Verlustangst eine echte Herausforderung. Je enger die Beziehung wird, desto bedrohlicher erscheint der Partner. Oft erschrecken wir selber, wenn uns bewusst wird, wie sehr wir unseren Partner, in unserer Angst verletzt haben.
Unser Bedauern danach ist echt, doch was wir unserem Partner wirklich mit unserem unbewussten Verhalten antun, erahnen nur die wenigsten. Wir handeln aus Angst vor Verletzung, und muten damit unserem Partner all diese negativen Gefühle zu, die wir nicht (mehr) fühlen wollen. In der Täter-Opfer-Umkehr fühlen wir uns als Opfer, und werden dabei unbewusst zum Täter.
Um das besser zu verstehen ist es hilfreich, dich mit deiner Angst befassen. Der Ursprung deiner Bindungsangst liegt sehr wahrscheinlich im Verhalten deiner Eltern, als du noch ganz klein warst. Und möglicherweise mutest du deinem Partner gerade das gleiche Verhalten zu, welchem du damals ausgesetzt warst.
Immerhin ist dein Partner erwachsen, und könnte sich deshalb besser abgrenzen, doch vielen Menschen gelingt das auch im Erwachsenenalter nicht. Sie beziehen dein Verhalten auf sich selbst, und glauben (genau wie du als Kind), dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist. Unser unbewusstes Beuteschema führt uns meist mit genau solchen Partnern zusammen.
Mit diesem Artikel möchte ich niemanden als Bösewicht darstellen, sondern Bewusstsein schaffen, und aufklären. Vielleicht möchte ich auch provozieren und wachrütteln. Denn wenn beide Partner eine Ahnung von dem bekommen, was im anderen abgeht, kann auf beiden Seiten Verständnis und Heilung geschehen. Allerdings soll der Artikel nicht als Ausrede dienen, um mach dem Motto „so bin ich eben“ einfach genauso weiter zu machen.
Jede Angst ist subjektiv real. Selbst wenn du vom Kopf her längst verstanden hast, dass diese Angst mehr Leid als Nutzen bringt, ist sie tief in dir. Je mehr du deine Angst ablehnst, desto präsenter wird sie. Ein guter Weg ist deshalb die vollständige Akzeptanz, dass du diese Bindungs- oder Verlustangst in dir trägst, und im zweiten Schritt offen mit deinem Partner darüber zu sprechen. Dabei soll dich dieser Artikel unterstützen.
Im Folgenden werde ich die drei gängigsten Schutzstrategien mit möglichen Hintergründen aufzeigen, und die damit verbundene Täter-Opfer-Umkehr beleuchten.
Distanzierung
Du kennst vielleicht das Gefühl, dass du dich plötzlich von deinem Partner zurückziehst, ohne einen offensichtlichen Grund dafür zu haben. Vielleicht hast du als Kind den Schmerz des Verlustes einer wichtigen Bezugsperson erlebt. Du hast diesen Verlust als Kind auf dich bezogen (ich bin nicht Ok), und gelernt, dass zu viel Nähe weh tut. Du fühlst dich erstickt, überwältigt von der Nähe deiner Beziehung, und deine erste Reaktion ist, dich aus dieser Nähe zurückzuziehen, um nicht mehr so tief verletzt zu werden.
Dies kann passiv aggressiv sein, indem du Absprachen nicht einhältst, zu spät oder gar nicht kommst, oder plötzlich unglaublich beschäftigt bist. In aktiver Form zeigt sich das oft in Streit über Kleinigkeiten, Überempfindlichkeit, oder Sabotage bis hin zum Fremdgehen.
Die Gründe dafür sind häufig, dass die Beziehung so eng und vertraut geworden ist, dass du eine Trennung oder Zurückweisung nicht mehr ertragen könntest. Diese Trennung erscheint dir unausweichlich zu sein, sobald dein Partner erkennt, dass du Fehler und Schwächen hast (nicht OK bist).
Was du nicht fühlen willst:
Du willst dich vor dem Schmerz schützen, den diese Trennung oder Zurückweisung nach sich zieht, oder das bedrückende Gefühl loswerden, welches diese Beziehung in dir erzeugt.
Was du deinem Partner zumutest:
Dein Partner fühlt sich zurückgewiesen, leidet unter dem Trennungsschmerz deiner Distanzierung, und glaubt, dass er nicht genug ist, oder etwas Falsches gemacht hat (selbst nicht OK ist). Er fühlt das bedrückende Gefühl einer instabilen Beziehung.
Unberechenbarkeit
Es gibt auch die Momente, in denen du unvorhersehbar handelst, und deine Stimmung von einem Extrem zum anderen wechselt. Du könntest dich in einem Moment total verbunden und liebevoll fühlen, nur um im nächsten Moment plötzlich kalt und distanziert zu sein.
Evtl. hattest du Eltern, deren Nähe für dich nicht berechenbar war, weil sie diese nur zuließen, wenn ihnen selbst danach war. Ob du diese Nähe wolltest spielte keine Rolle, und wenn du die Nähe brauchtest, hast du sie nicht bekommen. Du wurdest zurückgewiesen, und dachtest, dass du falsch, oder nicht genug bist.
Was du nicht fühlen willst:
Zu viel Nähe fühlt sich für dich bedrohlich an, denn du hast das ohnmächtige Gefühl von früher, keine Kontrolle über Nähe und Distanz zu haben. Sobald demnach dein Wunsch nach Nähe erfüllt ist, rebellierst du dagegen, weil du diese Ohnmacht nicht spüren willst.
Was du deinem Partner zumutest:
Dein Partner ist verwirrt und verletzt, und fühlt sich bedroht durch deine Unberechenbarkeit. Er fühlt den Schmerz der Zurückweisung, und glaubt, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Er hat keinerlei Kontrolle über deine Nähe und versinkt im ohnmächtigen Gefühl, falsch oder nicht genug zu sein.
Abweisung
Vielleicht weist du deinen Partner absichtlich ab, um dich selbst zu schützen. Du könntest ihn zurückweisen, bevor er die Chance hat, dich zu verletzen, weil du Angst davor hast, verletzt zu werden. Evtl. hast du als Kind die Erfahrung gemacht, dass es leichter auszuhalten ist alles kaputt zu machen, als wenn du unvorbereitet von außen verletzt wirst. Denn dabei behältst du die Kontrolle.
Dies könnte an narzisstischen Elternteilen gelegen haben, oder an Bezugspersonen, die auf andere Weise wenig empathisch waren. Dir wurde immer wieder gespiegelt, dass du nicht gut genug bist
Was du nicht fühlen willst:
Was du mit der Abweisung vermeiden willst, ist das Gefühl der der Angst, dass du jederzeit verletzt werden könntest, und den ohnmächtigen Schmerz der darauf folgt. Du willst deinen Selbstwert schützen, indem du jedem Angriff zuvorkommst.
Was du deinem Partner zumutest:
Doch in Wirklichkeit verletzt du deinen Partner, indem du ihm das Gefühl gibst, nicht gut genug zu sein. Du torpedierst seinen Selbstwert, und hältst ihn klein. Dein Partner lebt in der ständigen Angst vor Abweisung, und im ohnmächtigen Schmerz, nicht gut genug zu sein
Es gibt viele weitere Ursachen für Bindungsangst, z.B. könnte es dir Angst machen, dass du nun für immer in dieser Beziehung gefangen bist, und lehnst die damit verbundene Verantwortung ab. (Z.B., weil du als Kind viel zu früh die Verantwortung für einen Elternteil oder Geschwister übernehmen musstest) usw.
Was ich dir mitgeben möchte ist das Bewusstsein, dass du deinem Partner genau den Gefühlen aussetzt, die du für dich vermeiden willst. Für diese „Täter-Opfer-Umkehr“ gibt es in der Psychologie den Fachbegriff „Täter-Opfer-Perversion“ und das beschreibt es meiner Meinung nach auf den Punkt. Falls du empathisch veranlagt bist, kannst du dir vorstellen wie es deinen Partner mit deinem Verhalten geht.
Ganz besonders möchte ich darauf hinweisen, dass dabei nicht du als Person falsch, bzw. nicht OK bist! Es geht darum, dass dein Verhalten im Kontakt mit deiner Angst häufig unverhältnismäßig ist, und auf beiden Seiten viel Leid auslöst.
Fazit
Ich verstehe, wie schwer es ist, in der Dynamik der Täter-Opfer-Umkehr gefangen zu sein. Du möchtest deinen Partner nicht verletzen, aber deine Angst lässt dir scheinbar keine andere Wahl. Ich möchte, dass du weißt, dass es Wege gibt, diese Muster zu durchbrechen und eine gesunde, liebevolle Beziehung aufzubauen.
Der erste Schritt dazu ist, dir deiner eigenen Ängste bewusst zu werden und sie anzuerkennen. Nimm dir Zeit, um zu verstehen, warum du dich so verhältst, und suche nach Möglichkeiten, deine Ängste zu bewältigen. Kommunikation mit deinem Partner ist dazu entscheidend – erkläre ihm, was in dir vorgeht, und bitte ihn um Verständnis und Unterstützung.
Du wirst staunen, wie viel Verständnis dir entgegenkommt, sobald du dich öffnest. Denn dein Partner hat wie oben erwähnt oft ganz ähnliche Ängste in sich, die er jedoch mit anderen Strategien vermeidet. Ihr könnt euch also gegenseitig heilen, insofern beide Seiten dafür bereit sind.
Du bist nicht allein in diesem Kampf, und du musst nicht alleine antreten. Hole dir Hilfe von außen in Form von Freunden, Leidensgenossen oder Coaches. Mit Geduld, Selbstreflexion und der Unterstützung deines Partners kannst du diese Muster durchbrechen und eine liebevolle Beziehung aufbauen, die auf Vertrauen, Offenheit, und gegenseitigem Respekt baut.
Mach dir dein Leben schön
Dein Uwe
Themenstruktur Bindungsangst
Wie hilfreich war dieser Beitrag?
Klicke auf die Sterne um zu bewerten!
Durchschnittliche Bewertung 4.4 / 5. Anzahl Bewertungen: 9
Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.
Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!
Lasse uns diesen Beitrag verbessern!
Wie können wir diesen Beitrag verbessern?
Guten Morgen Uwe, wieder mal ein großartiger Newsletter mit viel klärendem Inhalt, und Impulsen zum nachdenken. Wenn wir es doch schaffen könnten, unsere Beziehung zu uns selbst in Verbundenheit zu gestalten, uns und unsere Ängste zu fühlen und uns mit ihnen auseinander zu setzen, und dann in Beziehung zu anderen, zum Partner zu gehen, dann wird „beziehungsunfähig war gestern“ noch ganzheitlicher und die Welt zu einem friedlicherem Ort. Bleib dran, ich wünsche Dir und der Welt, das Deine Impulse vielen einen schwungvollen Start in die Woche bringen, Pura Vida – Momente leben und erleben, herzliche Grüße Conny