Übersprungshandlungen und Bindungsangst. Ich muss nur noch schnell…

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ich muss nur noch schnell... Übersprungshandlungen und Bindungsangst

Wie dich Übersprungshandlungen in der Beziehung vor deiner Angst bewahren

Kennst du das Gefühl, wenn du dich nach einem langen Tag endlich mit deinem Partner entspannen möchtest, doch plötzlich gibt es tausend Dinge, die „noch schnell“ erledigt werden müssen? Die Wäsche muss gewaschen werden, der Schreibtisch aufgeräumt, Mails gecheckt, und vielleicht noch das Bad geputzt. Es ist, als ob die To-do-Liste nie endet. Doch was steckt wirklich hinter diesen ständigen „ich muss nur noch schnell…“-Momenten? Besonders in Beziehungen kann diese Dynamik auf ein tieferliegendes Muster hinweisen – die Angst vor Nähe.

Die versteckte Flucht: Wie Bindungsangst sich in Aktion tarnt

Bindungsangst zeigt sich nicht immer als klar erkennbare Angst. Oft versteckt sie sich hinter Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick harmlos oder sogar nützlich erscheinen. Übersprungshandlungen – also das plötzliche Bedürfnis, sich mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen – sind ein perfektes Beispiel. Sie geben uns das Gefühl, produktiv zu sein, während sie uns in Wahrheit davor bewahren, uns mit unseren Emotionen und Ängsten auseinanderzusetzen.

Es gibt viele Ereignisse, die wir gerne vor uns herschieben. Schon beim Kennenlernen geht’s los, wenn nach einigen vielversprechenden Telefonaten der erste Video-Call ansteht, oder das erste Treffen in Präsenz geplant ist, und du zum Beispiel Angst vor Zurückweisung hast. Oder noch schlimmer, dass alles passt, und es dann womöglich verbindlich und verletzlich wird? Da werden wir plötzlich krank, bekommen Migräne, oder ein Bekannter braucht dringen unsere Unterstützung.

Vor dem fest versprochen Anruf wollen wir noch schnell essen, duschen, oder die ach so dringende Mail beantworten. Und dann… – ist es (zum Glück) leider schon viel zu spät, und es wäre unverschämt, noch anzurufen. Oder ich habe mich ganz kurz hingelegt und bin auf dem Sofa weggedöst.

Übersprung im Alltag

Du hast immer wieder das Gefühl, dass du „nur noch schnell“ etwas erledigen musst, bevor du dich deinem Partner wirklich widmen kannst. Aber was, wenn dieser Drang eigentlich dazu dient, dir die Distanz zu wahren, die du tief in deinem Inneren für sicher hältst?

Beispiel: Sarah und die endlose To-do-Liste

Sarah ist seit drei Jahren mit Daniel zusammen. Sie liebt ihn, und doch gibt es Momente, in denen sie sich unwohl fühlt, wenn er zu viel Nähe sucht. Wenn Daniel am Abend vorschlägt, gemeinsam auf der Couch zu sitzen und einfach den Tag ausklingen zu lassen, fällt Sarah plötzlich ein, dass sie noch den Geschirrspüler ausräumen muss, ihre Garderobe für den nächsten Tag ihre Aufmerksamkeit braucht, oder dass sie etwas dringendes mit ihrer Freundin klären sollte. Oft findet sie sich bei diesen Aufgaben wieder, während Daniel alleine auf der Couch sitzt, irritiert und zunehmend frustriert.

Was Sarah nicht bewusst ist: Ihre „ich muss nur noch schnell…“-Rituale sind ihre Art, sich vor der emotionalen Nähe zu schützen. Indem sie sich beschäftigt hält, schafft sie eine unsichtbare Barriere zwischen sich und Daniel. Es ist nicht, dass sie keine Zeit mit ihm verbringen will – im Gegenteil, sie sehnt sich nach ihm. Doch die Angst vor der Verletzlichkeit, die echte Nähe mit sich bringt, oder vor dem Verlust ihrer Autonomie, lässt sie immer wieder einen Schritt zurücktreten.

Übersprungshandlungen: Schutzmechanismus vor emotionaler Intimität

Warum also tun wir das? Warum erfinden wir scheinbar immer neue Aufgaben, wenn es doch eigentlich um den Wunsch nach Nähe geht? Der Grund liegt oft in tief verwurzelten Bindungsängsten. Wenn du in deiner Vergangenheit Erfahrungen gemacht hast, die dir beigebracht haben, dass Nähe mit Schmerz, Zurückweisung oder Kontrollverlust verbunden ist, entwickelt dein Unterbewusstsein Schutzmechanismen.

Diese Schutzmechanismen tauchen genau dann auf, wenn es ernst wird – wenn emotionale Intimität entsteht und die Gefahr von Verletzlichkeit spürbar wird. Statt dich dieser Angst zu stellen, greifst du unbewusst zu Aktivitäten, die dich von diesen unangenehmen Gefühlen ablenken.

Ein weiteres Beispiel: Lukas und der ständige Arbeitsstress

Lukas ist seit einem Jahr mit Marie zusammen. Sie ist liebevoll und geduldig, doch Lukas hat oft das Gefühl, dass er sich emotional zurückzieht, wenn sie ihm näherkommen will. Jedes Mal, wenn Marie ein Gespräch über ihre Zukunft führen möchte, fällt Lukas plötzlich ein, dass er noch etwas für die Arbeit erledigen muss. Er sagt sich: „Ich muss nur noch schnell diese Präsentation fertig machen, dann reden wir.“ Doch dieser Moment kommt nie.

Lukas nutzt die Arbeit als Schutzschild, um sich nicht mit den emotionalen Themen auseinanderzusetzen, die in seiner Beziehung aufkommen. Die Angst, zu viel zu geben, die Kontrolle zu verlieren oder sich verletzlich zu machen, hält ihn davon ab, sich wirklich auf Marie einzulassen.

Wie du das Muster durchbrichst: Erkennen und annehmen

Der erste Schritt, um diese Verhaltensweisen zu verändern, ist, sie zu erkennen. Frag dich selbst: In welchen Situationen hast du das Bedürfnis, „nur noch schnell“ etwas zu erledigen? Wann fällt dir plötzlich ein, dass es unzählige Dinge gibt, die erledigt werden müssen, bevor du dich auf deinen Partner einlassen kannst?

Indem du diese Momente bewusst wahrnimmst, schaffst du Raum für Veränderung. Es geht nicht darum, dich zu verurteilen, sondern deine Ängste zu akzeptieren und zu verstehen, dass sie dich nur schützen wollen. Doch Schutz bedeutet in diesem Fall auch, dass du dich von der Nähe fernhältst, die du eigentlich suchst.

Den Kreislauf durchbrechen: Emotionale Intimität zulassen

Um deine Bindungsangst zu überwinden, kannst du damit beginnen, in diesen Momenten innezuhalten. Statt der Versuchung nachzugeben, „nur noch schnell“ etwas zu tun, frag dich: Was würde passieren, wenn ich jetzt einfach da wäre? Wenn ich mich meinem Partner zuwende, ohne Ablenkungen? Denke diesen Gedanken im „Worst-Case-Szenario“ zu Ende. Was ist das Schlimmste was passieren kann? Ist deine Interpretation wirklich wahr? Wie alt bist du gerade, während du das glaubst?

Es wird sich vielleicht unangenehm anfühlen – doch genau darin liegt das Wachstum. Denn je mehr du dich diesen Ängsten stellst, desto mehr wirst du merken, dass die Nähe nicht das Bedrohliche ist, was du befürchtest. Sie kann sicher und erfüllend sein, wenn du bereit bist, dich darauf einzulassen.

Fazit: Die Kontrolle loslassen, um echte Nähe zuzulassen

Die „ich muss nur noch schnell…“-Momente sind in Wahrheit Ablenkungsmanöver deines Geistes, um dich vor der Nähe zu schützen, die du dir insgeheim wünschst. Doch wenn du dieses Muster erkennst und dich bewusst dafür entscheidest, in solchen Momenten präsent zu bleiben, öffnest du die Tür zu einer tieferen, authentischeren Beziehung.

Es ist nicht leicht, sich dieser Angst zu stellen, aber es ist der einzige Weg, um die Barrieren zwischen dir und deinem Partner zu durchbrechen. Denn wahre Nähe entsteht nicht durch perfekte To-do-Listen, sondern durch das Loslassen der Angst und das bewusste Zulassen von Intimität.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Conny

    …. wenn Du begreifst, das das vermeiden von Nähe und die Bindungsangst Deines Partners nichts mit Dir zu tun hat, keine Ablehnung Deiner Person ist, sondern ein Selbstschutz seiner Person, öffnet sich für Dich ein neue Tür – zu Deinem Selbst! Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag ❤️

    1. Uwe Krämer

      Vielen Dank für Deine Gedanken und Dein Feedback, liebe Conny. Deine Erkenntnis ist wichtig und heilsam. Und es bedarf eines gesunden Selbstewertes, um diese Erkenntnis in aller Tiefe zu begreifen. Darauf darfst du besonders stolz sein.

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