Wenn Berührung zur Bedrohung wird: Intime Enthaltsamkeit und Bindungsangst in der Beziehung

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sexuelle und intime Enthaltsamkeit durch Bingungsangst

Löst intime Annäherung bei dir Fluchtreflexe aus?

Enthaltsamkeit oder Entzug von Intimität ist weiter verbreitet als du denkst. Die Libido ist überaus empfindlich auf äußere und innere Einflüsse. Stell dir vor du liegst neben deinem Partner, fühlst dich ihm so nah und doch so fern. Jede Berührung, die früher ein Ausdruck eurer Liebe war, wird nun zur Quelle von Angst und Unsicherheit. Sexuelle Enthaltsamkeit kann in einer Beziehung mit Bindungsangst zu einem großen Problem werden. In diesem Artikel geht es darum, warum das passiert und wie ihr als Paar Wege finden könnt, um wieder zueinander zu finden.

Bindungsangst und sexuelle Enthaltsamkeit

Bindungsangst kann sich auf viele Weisen äußern. Eine davon ist die Vermeidung von körperlicher Nähe und Intimität. Menschen mit Bindungsangst haben oft Angst vor der emotionalen Nähe, die mit sexuellen Beziehungen einhergeht. Sie fühlen sich schnell überwältigt oder bedroht und ziehen sich zurück, was zu sexueller Enthaltsamkeit führen kann.

Das ist am Anfang einer Beziehung natürlich nicht der Fall. Unser Bindungssystem dürstet nach Nähe und Zärtlichkeit. Erst später, wenn der Alltag Einzug hält, kommt es zu den vielfach beschriebenen Mustern der Überanpassung auf einer, meist auf beiden Seiten einer Beziehung. Die unbewusste Aggression, dass wir nicht „wir selbst“ sein dürfen, manifestiert sich in passiv aggressivem Verhalten.

Eine häufig unbewusst angewendete Weise der passiven Aggression ist, dass wir uns und unseren Körper entziehen. „Ich muss für dich schon eine Rolle spielen, die ich nicht bin, meinen Körper bekommst du nicht auch noch!“ Das wird zusätzlich davon befeuert, dass wir auch unsere intimen Bedürfnisse zurückstellen, weil die ja peinlich und abstoßend sein könnten.

Mit steigendem Alter kommt häufig die Scham und die Selbstablehnung in Bezug zu unserem eigenen Körper hinzu. Wir fühlen uns zunehmend unattraktiv, weil der Körper nicht mehr so knackig ist und insbesondere bei Männern nicht mehr so funktioniert, wie mit zwanzig. Die Libido wird ohnehin altersbedingt geringer, zusammen mit Aggression und Scham läuft dann oft gar nichts mehr.

Wie bei Nähe-Distanz-Themen ist auch bei Intimität jener Partner, der weniger will, an der Macht. Die Dynamik von Annäherung und Flucht, die damit einhergeht, ist oft nicht mehr zu stoppen. Die Unzufriedenheit und Erwartung nach Zärtlichkeit auf der einen Seite, und die Flucht und Zurückweisung auf der anderen Seite feuern sich gegenseitig bis zur Resignation an.

Beispiele aus dem Leben

Sophie und Lukas sind seit zwei Jahren zusammen. Anfangs war ihre sexuelle Beziehung leidenschaftlich und erfüllend. Doch nach einer Weile begann Lukas, sich immer mehr zurückzuziehen. Er wich Sophies Berührungen aus und fand Ausreden, um körperliche Nähe zu vermeiden. Sophie fühlt sich abgelehnt und unverstanden, während Lukas von seiner eigenen Angst erdrückt wird.

Tobias hat seit Jahren mit Bindungsangst zu kämpfen. Obwohl er Nina liebt, vermeidet er oft intime Momente, weil sie ihn zu sehr an seine eigenen Unsicherheiten erinnern. Nina fühlt sich zunehmend frustriert und unattraktiv, da sie nicht versteht, warum Tobias sie immer wieder zurückweist. Sie glaubt, dass es an ihr liegt, dass nichts mehr läuft, und passt sich an, um ihm besser zu gefallen. Je mehr Nina nach Zärtlichkeit drängt, desto mehr zieht sich Tobias zurück.

Auswege aus der Enthaltsamkeit

Der erste Schritt zur Lösung ist, offen über die Probleme zu sprechen. Es ist wichtig, dass beide Partner ihre Gefühle und Ängste teilen, ohne den anderen zu verurteilen. Gerade bei Bindungsängstlichen ist das verbunden mit ihrer größten Angst, sich verletzlich zu zeigen. Deshalb ist es wichtig, sehr behutsam und einfühlend heranzugehen.

Gerade bei Themen wie Impotenz und fehlender Lust ist es wichtig, zeitnah und offen mit dem Partner zu sprechen, der dies meist auf seine mangelnde Attraktivität und dem Gedanken, “ich bin nicht gut genug im Bett“ bezieht. Ein ehrliches „ich mach mir selber zu viel Druck“ macht Raum für Verständnis und Lösungen.

Wenn es bei Männern körperlich nicht mehr so gut funktioniert wie früher, ist Kommunikation darüber sehr wichtig für beide. Denn auch bei der Frau verändern sich die Erwartungen bei der Intimität mit steigendem Alter, so dass Streicheln und körperliche Nähe in den Vordergrund rücken. Die reine Penetration verliert ihre Wichtigkeit und ohne Druck funktioniert auch dies dann besser.

Beispiel: Sophie setzt sich mit Lukas zusammen und erzählt ihm, wie sehr sie seine Zurückhaltung verletzt und dass sie sich abgelehnt fühlt. Lukas reflektiert sich und erkennt zum ersten Mal, dass es gar nichts mit Sophie, sondern mit ihm selbst zu tun hat. Er erklärt seine Angst vor emotionaler Nähe und seiner Angst vor seinem „Versagen im Bett“ bzw. wie diese Ängste ihn davon abhalten, sich ihr körperlich zu nähern. Gemeinsam suchen sie nach Wegen, um wieder mehr Nähe zuzulassen.

Professionelle Hilfe ist anfangs sehr wertvoll, um die tiefer liegenden Ursachen der Bindungsangst zu verstehen und anzugehen. Ein Coach oder Therapeut kann dabei helfen, unbewusste Muster aufzudecken, gesunde Muster zu entwickeln und den Umgang mit Ängsten zu lernen.

Beispiel: Nina und Tobias entscheiden sich, eine Paartherapie zu beginnen. Der Coach hilft Tobias, seine Enthaltsamkeit zu verstehen und gibt ihm Werkzeuge an die Hand, um seine Ängste besser zu bewältigen. Gleichzeitig lernt Nina wie sie Tobias unterstützen kann, ohne sich selbst dabei zu verlieren.

Es kann hilfreich sein, sich langsam und behutsam wieder körperlich anzunähern. Kleine, liebevolle Gesten und Berührungen ohne den Druck, dass sie zu Sex führen müssen, können helfen, das Vertrauen und die Intimität wieder aufzubauen.

Beispiel: Sophie und Lukas vereinbaren, sich regelmäßig Zeit für gemeinsame Kuschelstunden zu nehmen, ohne dass daraus sexuelle Erwartungen entstehen. Diese Zeit der Nähe hilft beiden, sich wieder sicherer und verbundener zu fühlen. Ohne Erwartungshaltung auf beiden Seiten fließt die Intimität und der eigene Fokus wandert vom anderen nach innen.

Es ist notwendig, dass beide Partner auf sich selbst achten und geduldig sind. Bindungsangst ist nicht über Nacht zu lösen. Es erfordert Zeit und Mühe, gesunde Beziehungsgewohnheiten zu entwickeln. Auch geringe Libido bis hin zu Impotenz kommt meist aus der inneren Erwartungshaltung „Performen“ zu müssen, und hat seltener mit Körper und Hormonen zu tun.

Beispiel: Nina beschließt, sich wieder mehr auf ihre eigenen Hobbys und Freundschaften zu konzentrieren, um emotional ausgeglichener zu sein. Tobias arbeitet daran, seine Ängste Schritt für Schritt zu überwinden und seinen Wert in sich selbst zu finden, um sich selbst und Nina mehr zu öffnen.

Fazit

Sexuelle Enthaltsamkeit in einer Beziehung mit Bindungsangst kann eine große Herausforderung sein, aber es ist möglich, Wege zu finden, um wieder zueinander zu finden. Durch offene Kommunikation, professionelle Unterstützung, langsame Annäherung und Selbstfürsorge können beide Partner lernen mit ihren Ängsten umzugehen und selbstsicherer zu werden, um eine tiefere, erfüllende Verbindung aufzubauen. Liebe und Intimität brauchen viel Vertrauen, Zeit und Geduld– aber es ist eine Reise, die sich für beide lohnt.

Lass überdies die Erwartung los, funktionieren zu müssen. Viele Menschen denken, dass Intimität eine Pflicht ist, wenn es um Beziehung geht. Sie glauben, dass eine bestimmte Frequenz ein Indikator für die Qualität der Beziehung ist. Sie glauben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, wenn sie diese Frequenz nicht mehr leisten können oder wollen. Die Erkenntnis, dass das Nachlassen dieser Frequenz und Leidenschaft menschlich und „normal“ ist, macht frei von Überforderung und Druck.

Eine schöne Metapher dafür hat Dr. Eckart von Hirschhausen geliefert. Wenn ein Paar in einer Langzeitbeziehung in den ersten zwei Jahren für jeden sexuellen Akt eine Murmel in ein Gefäß wirft– und nach dieser Zeit nach jedem Akt eine Murmel aus diesem Gefäß herausholt, wird das Glas nie mehr leer. Dass dies völlig normal- und unsere Beziehung deswegen nicht „kaputt“ ist, sollte für viele Paare entlastend und heilsam sein. Mit oder ohne Bindungsangst.

Mach dir dein Leben schön

Dein Uwe

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