Emotionale Sicherheit: Wie Nähe gelingt, ohne die Freiheit zu verlieren

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Wenn gut gemeint zu viel wird: Die versteckte Kontrolle durch Fürsorge

Emotionale Sicherheit: Warum uns Kontrolle oft näher erscheint als Vertrauen – und wie du beides wieder ins Gleichgewicht bringst

Es beginnt oft ganz leise.
Ein „Ich wollte nur wissen, wann du nach Hause kommst“.
Ein „Ich dachte, du freust dich, wenn ich das für dich erledige“.
Ein „Ich hab’s nur gut gemeint“.

Doch was wie Fürsorge klingt, wird manchmal zu einer unsichtbaren Mauer.
Zwischen Nähe und Freiheit. Zwischen dir und deinem Partner.
Zwischen Liebe – und dem Wunsch, einfach nur Luft zu bekommen.

Wenn Sicherheit zur Erwartung wird

Mira und Julian leben seit vier Jahren zusammen.
Sie liebt ihn tief, kümmert sich, denkt mit, spürt voraus.
Julian sagt oft: „Du bist mein Zuhause.“
Und doch zieht er sich zurück, wenn sie ihm zuvorkommt, ihn umsorgt, ihn „liest“.

Sie merkt: Je mehr sie gibt, desto weniger kommt zurück.

Was passiert da?

Miras Bedürfnis nach emotionaler Sicherheit hat sich unbemerkt in Erwartungen verwandelt.
In Gedanken wie: „Ich gebe so viel, warum kommt so wenig zurück?“
Oder: „Wenn ich alles richtig mache, dann kann er mich gar nicht verlassen.“

Was als Liebe begann, wird zur stillen Kontrolle.
Und Julian? Er fühlt sich geliebt – aber nicht mehr frei.

Dahinterliegende Muster: Die Wurzel der Unsicherheit

Verlustangst hat viele Gesichter.
Manche weinen, andere schweigen.
Und wieder andere geben – zu viel.

  • Wir kontrollieren durch Fragen, Fürsorge, Vorausdenken.
  • Wir machen uns unentbehrlich, um nicht verlassen zu werden.
  • Wir erfüllen unausgesprochene Wünsche, um geliebt zu bleiben.

Doch je mehr wir geben, ohne dass es gebraucht oder gewollt ist,
desto größer wird der Druck auf unser Gegenüber.

Bindungsängstliche Partner empfinden diese Form von Fürsorge oft als subtilen Eingriff in ihre Autonomie.

Wie das Erfüllen von unausgesprochenen Wünschen die Autonomie untergräbt

Ein Klassiker:
„Ich hab dir deinen Lieblingskaffee gekauft, ich wusste, dass du das brauchen wirst.“
Oder:
„Ich hab deinen Kalender für dich sortiert, damit du nicht so gestresst bist.“

Gut gemeint? Ja.
Gut angekommen? Nicht immer.

Das Problem:
Wenn jemand ohne Nachfrage Wünsche erfüllt, fühlt sich das oft wie eine Entscheidung über mich, und nicht für mich, an.
Es erzeugt unterschwellig das Gefühl: „Ich werde nicht gefragt, was ich brauche – es wird für mich entschieden.“

Das wiederum aktiviert Widerstand – besonders bei Menschen mit Bindungsangst.
Sie erleben das als subtilen Verlust von Selbstbestimmung als emotionale Übergriffigkeit – auch wenn sie nicht böse gemeint ist.

Der stille Gegenspieler von Liebe: Überverantwortung

Wenn du dich ständig verantwortlich für das emotionale Gleichgewicht in der Beziehung fühlst,
wenn du versuchst, Spannungen frühzeitig aufzufangen,
dann trägst du mehr, als dir zusteht.

Und irgendwann spürst du:

  • Du bist müde, weil du immer gibst.
  • Du bist verletzt, weil du selten gefragt wirst.
  • Du bist enttäuscht, weil dein Einsatz nicht gesehen wird.
  • Du kasteist dich, weil du das, was du glaubst, über das stellst, was dein Partner sagt.

Das ist der Punkt, an dem emotionale Sicherheit ins Wanken gerät – für beide Seiten.

Fallbeispiel: Mira und Julian – und wie es anders geht

Nach einem intensiven Gespräch, das sie mithilfe eines Coaches führen, erkennt Mira:
„Ich handle aus Angst. Ich kümmere mich so sehr, weil ich Angst habe, nicht genug zu sein.“

Julian sagt:
„Ich ziehe mich zurück, weil ich mich oft nicht mehr wie ich selbst fühle. Als müsste ich jemand sein, der ich gar nicht bin.“

Sie vereinbaren einen neuen Umgang miteinander:

  • Mira fragt zuerst: „Möchtest du, dass ich das übernehme – oder lieber selbst machen?“
  • Julian gibt Rückmeldung, wenn er sich zurückzieht: „Ich brauche gerade Zeit für mich – das hat nichts mit dir zu tun.“
  • Beide lernen, ihre Bedürfnisse klar zu formulieren – ohne Schuld, ohne Vorwurf.

Ergebnis:
Mehr Nähe, weniger Druck.
Mehr Eigenverantwortung, weniger Missverständnisse.
Mehr emotionale Sicherheit – für beide.

Auswege: Wie emotionale Sicherheit gesund entsteht

  • Erkenne dein Motiv:
    Frage dich: „Tue ich das wirklich für den anderen – oder für meine eigene Beruhigung?“
  • Stelle echte Fragen:
    Statt zu raten, was der andere braucht, frage nach.
  • Lerne, Bedürfnisse klar zu kommunizieren:
    Auch wenn es sich verletzlich anfühlt.
  • Übe dich in Vertrauen:
    Dein Partner darf anders fühlen, anders reagieren – ohne dass eure Beziehung zerbricht.
  • Erkenne deine Grenzen:
    Du bist nicht verantwortlich für das emotionale Wohlbefinden deines Gegenübers.
  • Erforsche die Hintergründe:
    Es geht selten um das offensichtliche Thema.
 
 

Fazit:

Emotionale Sicherheit bedeutet nicht, alles richtigzumachen.
Sondern sich gegenseitig Raum zu geben, echt zu sein.

Sicherheit entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch das Vertrauen, dass der andere freiwillig bleibt.
Nicht, weil er muss – sondern, weil er will.

Und genau das ist es, was Liebe lebendig macht:
Wenn zwei Menschen sich nicht verlieren,
sondern gemeinsam wachsen – mit Raum für Autonomie UND Nähe.

Wenn du dich selbst immer wieder im Geben verlierst,
wenn du Nähe suchst und doch auf Distanz stößt, wenn du alles richtig machen willst und auf Gegenwehr stößt –
dann ist das kein Zeichen von Schwäche.

Es ist ein Zeichen, dass du gelernt hast, Liebe durch Anpassung zu sichern.

Aber du darfst lernen: Du bist sicher – auch wenn du einfach nur du bist.

Mach dir dein Leben schön

Dein Uwe

P.S. Zu vielen Themen gebe ich ganz private Einblicke in mein Leben und mein Learning. Falls dich das interessiert, lies unter dem roten Button weiter…

Wie das Thema der Woche  mich betrifft

Auch ich habe gelernt, dass es wichtiger ist, den anderen zu lesen, als auf meine eigenen Bedürfnisse zu hören. Ich fühlte mich verantwortlich für das Glück meiner Partnerin, denn wenn es ihr gut geht, bleibt sie – so meine Annahme. Allerdings leidet mein eigenes Glücksempfinden unter dieser Überanpassung, sodass meine daraus resultierende Unzufriedenheit die Laune meiner Partnerin belastet.

Diese Dynamik kann so schon nicht gut gehen. Doch um das Ganze zuzuspitzen, suchte ich mir stets Partnerinnen, die sich für mein Glück verantwortlich fühlten, und selbst unglücklich wurden, wenn das nicht gelang. Auch sie versuchten, mich zu lesen und meine Wünsche zu erfühlen. Und das konnte nicht gelingen. Zum einen, weil ich meine Bedürfnisse selbst nicht wahrnahm oder den ihren unterordnete, zum anderen, weil ich nach einiger Zeit jede Fürsorge als Übergriff wertete, der meine Autonomie infrage stellte. Ich bringe nachfolgend einige Beispiele, wie unbewusst Druck entsteht.

Liebesbeweis oder Übergriff?

Ein lächerlich anmutendes Beispiel, das dies aber gut veranschaulicht

Bei einem Urlaub übernachteten wir in einem Hotel mit einem reichhaltigen Frühstücksbuffet. Meine Freundin brachte mir einen Kaffee und einige Speisen mit an unseren Tisch, von denen sie überzeugt war, dass ich sie mag. Im späteren Gespräch fand ich heraus, dass sie dies, wenn ich das für sie gemacht hätte, als Wertschätzung oder freundliche Geste gesehen hätte. Überdies hätte sie mich für egoistisch gehalten, wenn ich nur mein eigenes Frühstück geholt hätte.

Ich allerdings sah sie nur fassungslos an, denn ich sah mich um meine Autonomie der freien Auswahl betrogen. Ich empfand es als übergriffig und fremdbestimmt. Ich käme nie auf die Idee, mir anzumaßen, meiner Freundin bei einer solchen Auswahl das mitzubringen, was sie gewöhnlicherweise im Alltag wählen würde. Sie dagegen wäre beleidigt gewesen, wenn ich das nicht getan hätte.

Kontrolle und Überfürsorge können subtil daherkommen, z. B. wenn meine Freundin einen Gefallen macht und mir für meine freien Tage ein SPA bucht, oder indem sie mir all die Überraschungen und Freundlichkeiten schenkt, über die sie sich freuen würde.

Denn ich sehe das als Appell, es ihr gleichzutun, wobei ich vorher schon weiß, dass ich das weder kann noch will. Meine Überzeugung „ich bin nicht gut genug“ wird getriggert. Der Druck der unausgesprochenen Erwartung steigt. Selbst wenn sie beteuert, dass sie es gerne macht, und ich das nicht erwidern muss, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Das Beziehungskonto rutscht ins Minus, und ich fühle mich im Zugzwang.

Wahrnehmung ist extrem subjektiv.

Wir Menschen gehen automatisch davon aus, dass andere Menschen die Welt auf die gleiche Weise wahrnehmen wie wir, dass sie die gleichen Bedürfnisse haben und sich dieselben Dinge wünschen wie wir. Jeder weiß im Grunde, dass das nicht stimmt, und doch sind wir enttäuscht, wenn andere nicht toll finden, was wir uns wünschen würden – wenn sie nicht begreifen, warum wir enttäuscht sind oder entgegengesetzte Wünsche haben –  sie nicht verstehen, wenn wir die gleiche Gegebenheit vollkommen anders bewerten.

Auf diesen Fehler falle ich noch immer rein, wenn ich mich z. B. durch abendliche Anrufe gestört fühle, und dann niemanden anrufe, weil ich „weiß“, dass auch andere das nicht gut finden.

Prokrastination vs. Präkrastinantion

Vermeidende Bindungstypen wollen nicht zur Last fallen und finden immer einen guten Grund, um Dinge „noch nicht“ anzugehen, um sich die spontane Planungsfreiheit (Autonomie) offenzuhalten. Anklammernde Bindungstypen hingegen wollen perfekt sein und die Kontrolle behalten. Sie lieben es, alles sofort erledigt und geplant zu haben. Diese Konstellation habe ich des Öfteren erlebt, und du kannst dir vorstellen, welcher Druck hier nach kurzer Zeit auf beide wirkt.

Wie kam ich da raus?

In erster Linie durch Bewusstwerdung. Wenn ich die Dynamiken bemerke, bewusst mache und hinterfrage, kann ich die Situationen anders bewerten. Denn wenn ich nicht nur den inneren Druck wahrnehme, sondern benennen kann, was hier wirkt, kann ich in den Dialog gehen. Es sind nicht die Muster, die die Beziehung beschädigen, sondern die Interpretationen der Folgen jener Muster durch den Partner. Solange ich meiner Partnerin wortlos aus dem Weg gehe, und sie mich dafür mit Vorwürfen traktiert, werden sich der Druck und das Rechtfertigen bis zum finalen Ende steigern. Doch wenn wir benennen und Vorschläge machen, kann ein heilsames Verständnis entstehen.

Reflexion

Wo baust du Druck auf, obwohl du es nur gut meinst?

Hast du je den hintergründigen Appell deiner Taten und Worte gesehen?

Weißt du, welche Bedürfnisse bei dir wirklich dahinterstehen?

Kannst du dir vorstellen, was hierdurch bei deinem Partner ankommt?

Ist das ein ehrliches, vorwurfsfreies Gespräch wert?

Mach dir deine Beziehung schön,

Dein Uwe

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