Parentifizierung: Die Last die niemals deine war!

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Parentifizierung; wie Kinder als Partner missbraucht werden

Wie Kinder zu Eltern werden, und warum sie später Bindungsängste entwickeln.

„Du bist schon so klug, mit dir kann ich mich besser unterhalten als mit vielen Erwachsenen.“

Ein Satz, der harmlos oder wie ein Kompliment klingt, aber für ein Kind zu einer Last werden kann, die es nie tragen sollte. „Parentifizierung“ – der Begriff beschreibt ein Phänomen, bei dem Kinder die Verantwortung für das emotionale oder praktische Wohlergehen ihrer Eltern übernehmen müssen. Ob es um Nöte in der Elternbeziehung geht, ob sie zwischen den Bindungspersonen schlichten oder gar die Verantwortung für die Beziehung zu ihren Eltern tragen. Sie werden zu kleinen Erwachsenen, die das Gewicht der Welt auf ihren Schultern tragen, während ihre eigenen Bedürfnisse ungehört bleiben.

Was diese Kinder oft nicht wissen: Diese unaufgelöste Dynamik aus ihrer Kindheit begleitet sie ins Erwachsenenleben und prägt ihre Beziehungen. Besonders Bindungsangst kann eine schmerzhafte Folge von Parentifizierung sein.

Was ist Parentifizierung?

Parentifizierung tritt auf, wenn Kinder in Rollen gedrängt werden, die eigentlich den Eltern vorbehalten sind. Es gibt zwei Hauptarten:

Emotionale Parentifizierung

Das Kind wird zum Vertrauten, zur emotionalen Stütze der Eltern. Es hört sich die Sorgen der Mutter oder des Vaters an, tröstet sie und übernimmt Verantwortung für deren Gefühle. Selbst für den Familienfrieden und die Kinder-Eltern-Bindung fühlen sie sich berufen

Praktische Parentifizierung

Das Kind übernimmt alltägliche Aufgaben, sorgt für Geschwister, kümmert sich um den Haushalt oder trifft Entscheidungen, die für sein Alter unpassend sind. Es verpasst seine Kindheit.

Wie Parentifizierung Bindungsangst fördert

Kinder, die parentifiziert werden, lernen früh, dass Beziehungen nicht sicher sind. Statt Unterstützung und Schutz zu erfahren, müssen sie selbst geben und stark sein. Diese Erfahrungen prägen tiefsitzende Muster:

Verantwortung als Schutzstrategie

Ein parentifiziertes Kind entwickelt den Glaubenssatz: „Ich bin nur wertvoll, wenn ich gebe und helfe.“ Dieser Gedanke kann im Erwachsenenalter dazu führen, dass das Gefühl von Nähe und Intimität mit der Gefahr von Überforderung oder Ausnutzung verknüpft wird.

Angst vor Verlust der Autonomie

Da diese Kinder nie gelernt haben, ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern, fühlen sie sich in Beziehungen schnell eingeengt. Nähe wird als Bedrohung empfunden, weil sie glauben, erneut für den anderen verantwortlich sein zu müssen.

Sehnsucht nach Nähe

In der Paarbeziehung wird die Sehnsucht wach, endlich einfach angenommen und geliebt zu sein. Die erlernte Überanpassung um den Familienfrieden zu sichern wirkt dabei zerstörend.

Selbstschutz durch Distanz

Um sich vor erneutem Schmerz zu schützen, entwickeln viele eine Strategie des Rückzugs. „Wenn ich keine Nähe zulasse, kann ich auch nicht verletzt werden.“

Beispiele aus dem Leben

Lisa: Die kleine Erwachsene

Lisa war sieben Jahre alt, als ihre Eltern sich trennten. Ihre Mutter vertraute ihr all ihre Ängste und Sorgen an. Lisa war immer da, hörte zu, und tröstete. Heute, als erwachsene Frau, fällt es ihr schwer, Nähe zuzulassen. Sobald ihr Partner emotional auf sie zugeht, fühlt sie sich überfordert und zieht sich zurück. „Ich kann das nicht. Ich will nicht wieder die Starke sein müssen.“

Tom: Der Ersatzvater

Toms Vater war oft abwesend, also übernahm Tom die Rolle des Familienoberhaupts. Er kümmerte sich um seine jüngeren Geschwister und entschied, welche Rechnungen zuerst bezahlt werden mussten. Jetzt, als erwachsener Mann, wählt Tom immer wieder Partnerinnen, die ihn überfordern und bei denen er das Gefühl hat, ständig „funktionieren“ zu müssen. Sobald es um echte Nähe geht, macht er dicht.

Wie man den Kreislauf durchbrechen kann

Erkennen, was passiert ist

Der erste Schritt ist, die eigenen Kindheitsmuster zu verstehen. Viele parentifizierte Erwachsene tragen unbewusst Schuld- oder Verantwortungsgefühle mit sich herum. Diese zu erkennen und loszulassen, kann unglaublich befreiend sein.

Grenzen setzen lernen

Für Menschen mit Bindungsangst, die durch Parentifizierung geprägt ist, ist es essenziell, gesunde Grenzen nach innen und nach außen zu ziehen. Nähe bedeutet nicht, sich aufzugeben – und Distanz bedeutet nicht, den anderen zu verlassen.

Die eigenen Bedürfnisse spüren

Parentifizierte Kinder haben oft nie gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen oder zu äußern. Als Erwachsene können sie sich bewusst Zeit nehmen, um zu erforschen: „Was brauche ich eigentlich? Was tut mir gut? Wie bekomme ich Energie? Und was macht mich glücklich“

Unterstützung suchen

Therapie oder Coaching können dabei helfen, alte Muster aufzubrechen und neue Wege in Beziehungen zu finden. Bindungsangst ist kein unausweichliches Schicksal – sie kann geheilt werden.

Hoffnung für die Zukunft

Die Auswirkungen von Parentifizierung und Bindungsangst sind tiefgreifend, aber nicht unumkehrbar. Wer sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt und den Mut hat, alte Muster zu hinterfragen, kann lernen, gesunde und erfüllende Beziehungen zu führen.

Die wichtigste Erkenntnis? Du bist nicht verantwortlich für die Last, die dir in deiner Kindheit aufgebürdet wurde. Aber du hast die Macht, sie jetzt loszulassen – für dich, für deine Zukunft und für die Beziehungen, die du dir wünschst.

Denn echte Nähe ist nicht Bedrohung, sondern Bereicherung. Und sie beginnt, wenn du dir selbst erlaubst, nicht länger stark sein zu müssen. Wenn du dich fallen lässt, und dich mit deinen eigenen Bedürfnissen zumutest.

Mach dir dein Leben schön

Dein Uwe

 

P.S. Zu vielen Themen gebe ich ganz private Einblicke in mein Leben und mein Learning. Falls dich das interessiert klicke unten auf den roten Button „+ Wie das Thema der Woche  mich betrifft“

Ich kann mich noch gut daran erinnern – „mit dir kann ich mich schon besser unterhalten als mit deinem Papa.“ Die Worte meiner Mutter taten mir gut, und bestärkten mich darin, mich erwachsen und weltgewandt zu geben. Ich war gerade mal 4 und hatte nicht das Gefühl, dass hier etwas schiefläuft.

Auch würde ich nicht behaupten, dass mir das geschadet hätte. Im Gegenteil – es machte mich stolz und gab mir das Gefühl wichtig und wertvoll zu sein. Ich würde jederzeit behaupten, eine überwiegend glückliche Kindheit gehabt zu haben, und doch lehnte ich lange Zeit jede Verbindlichkeit und Verantwortung ab.

Das Gefühl, hier eine Verantwortung zu übernehmen, um meiner Mutter oder meinen Eltern das Leben zu erleichtern hat mich damals nicht erreicht. Ich hörte geduldig zu und war für sie da. Was mich bewegte behielt ich jedoch auch auf Drängen meiner Mutter für mich zurück. Von meinen Gefühlen und Bedürfnissen hatte ich mich zu dieser Zeit wohl schon abgeschnitten.

Mich mit meinen Bedürfnissen und Wünschen zuzumuten fällt mir auch heute noch schwer, denn ich habe gelernt, dass ich es alleine schaffen muss, dass sich niemand für mich interessiert, und ich für die Erwartungen anderer zuständig bin.

Wie schon in einem anderen Beitrag beschrieben, wollte ich meine Mutter nicht mit meinen Sorgen belasten – sie hatte es doch auch so schon schwer genug mit meinem Bruder. Deshalb war mein Kuscheltier mein Seelsorger – ich machte es mit mir alleine aus.

Dass ich später wieder Kontakt zu meinen Wünschen und Bedürfnissen gefunden habe, war ein reiner Glücksfall für mich, und einer meiner ersten Freundinnen geschuldet.

Wenn ich bedenke, dass viele Menschen weitaus mehr parentifiziert wurden als ich, und welch nachhaltige Folgen es schon bei mir hatte, gibt mir das über die Tragweite dieses Phänomens zu denken.

Selbst in meiner Patchworkfamilie gibt es einen tragischen Fall, über dessen spätere Auswirkungen ich gar nicht nachdenken will.

Wie hast du deine Kindheit in Erinnerung? Durftest du Kind sein?

Wie verhält es sich mit deinen Kindern? Sind hier Rollen vertauscht?

Wo willst du dich nicht zumuten oder trägst die Verantwortung anderer?

Und woher könnte das kommen?

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