Schweigen, Rückzug und das Drama hinter der Stille
Es beginnt oft ganz leise.
Vielleicht mit einem Schulterzucken. Einer abweisenden Geste. Einem Satz wie: „Lass uns morgen reden.“ Doch morgen kommt nie. Und irgendwann merkst du: Mein Partner spricht nicht mit mir. Nicht wirklich. Nicht über das, was zählt. Nicht über Gefühle, Zweifel, Sehnsüchte.
Die Stille in der Beziehung – und was dahintersteckt
Lisa sitzt auf dem Sofa, das Smartphone stumm neben sich. Marc, ihr Freund, ist gerade aus dem Zimmer gegangen – kommentarlos. So wie gestern. Und vorgestern.
Die Gespräche sind seltener geworden, die Berührungen flüchtiger. Wenn Lisa fragt, bekommt sie knappe Antworten. „Ich bin einfach müde.“ „Ist nichts.“ Und wieder denkt sie: „Mein Partner spricht nicht mit mir.“
Doch was, wenn hinter diesem Schweigen keine Gleichgültigkeit steht – sondern Angst?
Warum wir lieber schweigen als uns zeigen
In Beziehungen mit Bindungsangst und Verlustangst spielt Kommunikation eine entscheidende Rolle – oder besser gesagt: das Fehlen davon.
Der bindungsängstliche Partner hat Angst, zu viel Nähe könnte ihn vereinnahmen. Worte – vor allem ehrliche – bedeuten oft Konfrontation, Verletzlichkeit, das Risiko, nicht mehr frei zu sein. Häufig machen sie ihre Themen mit sich alleine aus, weil sie nicht stören wollen, auf einen vermeintlich guten Moment warten, alles Negative für sich behalten wollen, um nicht zur Last zu fallen oder sich angreifbar zu machen.
Der verlustängstliche Partner hingegen will reden, klären, verstehen. Doch sobald er Druck ausübt, zieht sich der andere zurück. Und die Spirale beginnt: Nähe erzeugt Rückzug, Rückzug erzeugt Angst, Angst erzeugt mehr Anklammern – und damit mehr Rückzug und Schweigen.
Ergebnis:
Beide fühlen viel, reden wenig und interpretieren stattdessen. Jeder ist alleine – mit seinen Geschichten im Kopf.
Die Beziehung leidet – ohne dass ein Wort fällt
Ein klassisches Missverständnis:
„Wenn er nichts sagt, bedeutet das, ich bin ihm egal.“
„Wenn sie so viel fragt, will sie mich kontrollieren.“
Doch oft bedeutet das Gegenteil die Wahrheit: Die einen schweigen, weil sie nicht wissen, wie sie sprechen sollen oder rebellieren vor der Mitteilungserwartung. Die anderen klammern, weil sie reden mit Nähe verbinden und Angst haben, alles zu verlieren.
Exkurs: „Ich mute mich nicht zu – ich muss es alleine schaffen“
Dieser Glaubenssatz begleitet viele Menschen seit der Kindheit. Vielleicht hast du gelernt: „Ich darf nicht belasten.“
„Wenn ich mich zeige, werde ich abgelehnt.“
„Ich muss stark und positiv sein, sonst liebt man mich nicht.“
„Was ich denke, brauche und fühle, interessiert niemanden.“
Diese Haltung verhindert echte Beziehung. Denn wer sich nicht zeigt, kann nicht gesehen werden.
Und wer glaubt, alles alleine tragen zu müssen, wird genau das auch tun – bis zum Befreiungsschlag der Trennung, oder bis zur völligen Erschöpfung.
Wege aus dem Schweigen – hin zu echter Verbindung
- Werde dir deiner Dynamik bewusst.
Erkenne deine kindlichen Schutzstrategien und Glaubenssätze. Wenn du dich nicht zeigst, schützt du dich – aber du nimmst dich selbst aus dem Spiel. - Lerne, dich trotz Angst mitzuteilen.
Sag nicht nur „Du redest nicht mit mir“, sondern:„Ich wünsche mir, dass du mir sagst, was dich wirklich bewegt. Ich halte das aus.“
„Ich habe Angst, dass wir einander entgleiten, wenn ich dich nicht mehr spüre.“
- Reduziere Interpretationen.
Fragen statt Vermuten.
„Hast du gerade keine Kraft zu reden?“, ist ehrlicher als: „Du willst eh nie reden!“ - Übe radikale Ehrlichkeit – liebevoll verpackt.
„Ich fühle mich alleine, wenn du dich verschließt. Was brauchst du, um dich mir zu öffnen?“ ist kein Vorwurf – sondern eine Einladung zur Nähe. - Schafft einen sicheren Rahmen.
Kreiert ein Ritual, (z.B. nach dem Abendessen) in dem jeder unterbrechungsfrei und wertungsfrei aussprechen kann, was ihn bewegt. Jeder bekommt abwechselnd seine Redezeit. Rechtfertigen und Zerreden ist verboten. Ein „Danke für dein Vertrauen“ schließt das Ritual ab. - Gib Bedenkzeit.
„Ich möchte mich morgen nach dem Frühstück mit dir über Thema XY unterhalten. Bitte mache dir bis dahin Gedanken darüber.“ Das klappt sicher nicht immer, doch dein Partner wird nicht überfahren, kann sich vorbereiten und in sich gehen. - Quid pro quo.
Mache ein Spiel daraus. Ich zeige dir meins, und du zeigst mir deins. Mache klar, dass ihr beide Angst habt, euch verletzlich oder schwach zu zeigen. Sage etwas, was dir sehr schwerfällt, es zu teilen, und begründe deine Angst dahinter. Danach ist dein Partner dran. Akzeptiere es, wenn am Anfang nicht die tiefsten Geheimnisse sprudeln. Vermeidet es, die Ängste des Partners kleinzureden oder zu diskutieren. „Danke für dein Vertrauen“ ist auch hier der richtige Abschluss.
Checkliste: „Mein Partner spricht nicht mit mir“ Ist das ein Hinweis auf eine tieferliegende Beziehungsdynamik?
Redet ihr über Gefühle – oder nur über Alltag?
Weicht dein Partner emotionalen Gesprächen aus?
Fühlst du dich oft alleine, obwohl ihr zu zweit seid?
Hast du das Gefühl, deine Bedürfnisse stören?
Versucht ihr, Probleme im Kopf zu lösen – statt gemeinsam?
Glaubst du zu wissen, was der Partner braucht oder denkt?
Umschiffst du kontroverse Themen und Konflikte?
Wartest du auf den richtigen Moment, um den Partner nicht zu stören?
Der Gedanke: „das ist es nicht wert, es anzusprechen“ ist dir vertraut?
Zeigst du dich ausschließlich von der erfolgreichen und starken Seite?
Denkst du, deine Themen sind langweilig und uninteressant?
Wenn du mehr als drei Punkte mit „Ja“ beantwortest, steckt möglicherweise ein Bindungs- oder Verlustangst-Muster dahinter. Und das ist kein Vorwurf – sondern der Anfang von Verständnis und Veränderung.
Fazit: Schweigen schützt – aber es verbindet nicht
Wenn dein Partner nicht mit dir spricht, kann das viele Ursachen haben. Vielleicht Angst. Vielleicht Überforderung. Vielleicht ein erlerntes Muster.
Doch eins ist sicher: Nur durch echtes Mitteilen entsteht echte Beziehung.
Und das beginnt damit, dass einer den ersten Schritt macht – und sich zeigt. Erst ganz vorsichtig, und dann immer mutiger.
Wenn du merkst, dass du immer wieder an genau dieser Stelle stehst, lade ich dich ein, dich begleiten zu lassen. Es braucht kein Drama, um Veränderung zu schaffen. Aber es braucht Mut, sich selbst zu begegnen – und sich dem anderen ehrlich zu zeigen.
Dein Uwe
P.S. Zu vielen Themen gebe ich ganz private Einblicke in mein Leben und mein Learning. Falls dich das interessiert, lies unter dem roten Button weiter…
Wie das Thema der Woche mich betrifft
Mach dir deine Beziehung schön,
Dein Uwe
Die Wucht der Stille
Die Stille in Beziehungen kenne ich sehr gut, und sie ging meistens von mir aus. Nicht sofort, denn am Anfang einer Beziehung gibt es unendlich viel zu erforschen. Natürlich zeigte ich mich von meiner Sonnenseite, und auch mit diesem Filter gab es genug zu erzählen. Ich wollte gefallen und lies meine Schattenthemen aus.
Die Beziehungen liefen lange Zeit gut, denn nach dem Kennenlernen kommen organisatorische Themen und schließlich der Alltag, der besprochen werden muss. Doch irgendwann ist das meiste gesagt, und die Gespräche werden kaum mehr aus der Erinnerung geführt, sondern im Jetzt. Und genau hier beginnt das Schweigen.
Mein Leben ist sicher nicht langweiliger als bei anderen Menschen, doch das Level, was erzählenswert ist und was nicht, liegt viel zu hoch. „Ich darf nicht belasten“, „Ich muss es alleine schaffen“ und „keiner interessiert sich für mich und meine Bedürfnisse“ sind die Sätze, die hier aktiv werden.
Damit ist der größte Teil meines Innenlebens aussortiert. Probleme und Sorgen stören die Harmonie, abgesehen davon muss ich das ohnehin alleine schaffen und will mich nicht von einer hilfsbedürftigen Seite zeigen. Hilfe annehmen konnte ich sowieso nicht, denn ich darf ja nicht zur Last fallen.
Was so tagsüber passiert, ist zu 99 % nicht erwähnenswert, abgesehen von manchen organisatorischen Details. Selbst Nachfragen empfand ich als „zu viel“ und interpretierte lieber selbst, was mein Gegenüber schon weiß oder sich selbst erschließen könnte.
Small Talk fand ich schon immer sinnentleert, demnach bin ich auch grottenschlecht darin. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, bekommt er das „gut“, das er hören möchte. Meine Gefühle und Bedürfnisse haben noch nie jemanden interessiert, warum sollte das hier anders sein?
Meine Schutzstrategien
Dann wären da noch meine Schattenseiten – die Dinge, die ich an mir ablehne oder die mir Angst machen, und die ich beim Kennenlernen zurückgehalten habe. Die jetzt noch anzusprechen fühlte sich viel zu gefährlich an.
Alles in allem ergibt das schon eine gewaltige Mauer des Schweigens, doch es wird noch besser. On top kommen ja auch noch all die Erwartungen, die ich nicht erfüllen wollte, aber das nie formulieren konnte. Der Frust der Überanpassung dämpft den geringen Redeimpuls zusätzlich. Doch das Schlimmste war die Erwartung meiner Partnerinnen, dass ich mich öffnen sollte und sagen, was mich bewegt.
Alleine die Erwartung an sich erzeugte eine Abwehrhaltung, doch zusätzlich triggerte mich meine Schutzstrategie aus meiner längst verdrängten Kindheit. Denn auch meine Mutter bohrte häufig nach, was mit mir los ist – dass sie doch spürt, dass mich etwas bedrückt und ich doch bitte mit ihr reden soll.
Das Problem war jedoch, dass ich meinen Eltern die Stärke und Belastbarkeit absprach, mit meiner Innenwelt umgehen zu können. Auch sie bekam nur meine Sonnenseite zu Gesicht, denn damit sicherte ich mir ihre Zuwendung. (Ich werde nur geliebt, wenn ich nicht zur Last falle) Ich machte es damals schon mit mir selbst aus – und mit meinem Kuscheltier. Je mehr sie bohrten, desto mehr verschloss ich mich.
Mein Weg, mich zu zeigen
Der damals logische Schluss daraus – „Sich öffnen und sich zeigen bedeutet Zurückweisung“ – hat bis heute seine Macht behalten. Noch immer fällt es mir schwer, mich zu öffnen, um Hilfe zu bitten oder jemanden zu brauchen. Allerdings nehme ich es heute schneller wahr, wenn ich in meine alten Muster rutsche, und kann anders reagieren.
Die wahre Heilung liegt in der Erfahrung, dass meine Partnerin durchaus die Stärke und Belastbarkeit in sich trägt, mit meiner Innenwelt klarzukommen. Dass sie verständnisvoll reagiert und mich nicht beschämt oder bewertet, sondern mitfühlt. Dass sie mich nicht bedrängt, sondern mir offene Angebote macht, mich so weit zu zeigen, wie es sich für mich gut anfühlt. Dies ermöglicht ein unglaubliches Wachstum für uns beide.
Reflexion für DICH
Wann glaubst du, dass du zu viel bist?
Bei welchen Themen fühlt sich Schweigen für dich sicherer an als Reden?
Wo fühlst du dich unter Druck gesetzt, oder willst nicht stören?
Was würde passieren, wenn du dich mit all deinen Schattenseiten zumutest?
Ist das auch heute noch – wirklich wahr?
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Themenstruktur "Bindungsangst"
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