Immer wieder Streit – egal was du tust? Worum geht es wirklich?
„Egal was ich tue, es ist nie genug.“
Anna sitzt am Küchentisch, die Hände vergraben im Gesicht. Vor ihr steht David, ihr Partner, hilflos und frustriert.
„Ich wollte dir doch nur eine Freude machen…“ sagt er leise, den Strauß Blumen in der Hand.
Anna hebt den Kopf, Tränen in den Augen. „Ja, aber du hast nicht daran gedacht, dass ich heute Morgen den wichtigen Termin hatte. Ich musste alles alleine machen. Und jetzt kommst du einfach so mit Blumen, als wäre alles gut?“
David ist sprachlos. Er hat sich Mühe gegeben. Er wollte ihr zeigen, dass er an sie denkt. Aber egal, was er macht – er scheint es ihr einfach nicht recht machen zu können.
Für Anna fühlt sich dieser Moment jedoch ganz anders an. In ihr tobt ein Sturm. Einerseits sehnt sie sich nach Nähe, nach dem Gefühl, geliebt und gesehen zu werden. Andererseits fühlt sie sich in genau diesen Momenten plötzlich bedroht – als würde sie die Kontrolle verlieren, wenn David ihr zu nah kommt.
Und so passiert, was bei bindungsängstlichen Menschen so oft passiert: Ein neuer Nebenkriegsschauplatz wird eröffnet.
Warum Bindungsängstliche immer wieder Konflikte schaffen – auch wenn sie Nähe wollen
Menschen mit Bindungsangst erleben in Beziehungen oft ein tiefes inneres Dilemma:
- Sie sehnen sich nach Nähe und Liebe.
- Gleichzeitig fürchten sie genau diese Nähe – aus Angst, sich selbst zu verlieren oder verletzt zu werden.
Das Ergebnis? Ein ständiges Hin und Her zwischen Anziehung und Abstoßung.
Wenn ihr Partner ihnen zu nahekommt – etwa durch liebevolle Gesten, Aufmerksamkeit oder tiefe Gespräche – wird diese Nähe plötzlich als bedrohlich empfunden. Unbewusst schalten sie in den Selbstschutzmodus:
„Ich muss mich distanzieren, sonst verliere ich mich.“
„Wenn ich mich zu sehr einlasse, könnte ich verletzt werden.“
Um diese Distanz wiederherzustellen, wird häufig ein Konflikt erschaffen – auch wenn es keinen wirklichen Grund gibt.
Das Muster:
- Der Partner macht etwas Liebes, oder erfüllt einen Wunsch.
- Es entsteht Nähe, und der bindungsängstliche Part fühlt sich innerlich überfordert.
- Ein scheinbar belangloses Detail wird zum großen Problem.
- Ein Streit entsteht – und die emotionale Distanz ist wiederhergestellt.
Beispiele für „Nebenkriegsschauplätze“
- Der Vorwurf an der falschen Stelle: Der Partner plant einen schönen Abend – aber es wird ihm vorgehalten, dass er „wieder nicht nachgefragt hat“, was man eigentlich möchte.
- Die Kritik am Timing: Ein liebevolles Kompliment wird abgetan mit: „Jetzt sagst du das nur, weil wir gestern Streit hatten.“
- Das „Du verstehst mich einfach nicht“-Argument: Auch wenn man versucht zuzuhören, wird immer ein Aspekt gefunden, der „nicht richtig“ ist.
- Das verlieren im Detail: Der Partner stimmt einem lange gehegten Wunsch zu, doch nun wird über die Details gestritten.
Diese Konflikte haben eines gemeinsam: Sie verhindern echte Nähe. Und sie geben dem bindungsängstlichen Menschen das Gefühl, wieder Kontrolle über die Beziehung zu haben.
Denn wenn ich mich immer wieder in Nebenkriegsschauplätzen verliere, muss ich mich nicht der viel tieferen Angst stellen:
Der Angst, wirklich gesehen oder erkannt zu werden.
Der Angst, verletzt oder verlassen zu werden.
Warum „du kannst es mir nicht recht machen“ ein Schutzmechanismus ist
Der ständige Drang, Dinge zu kritisieren oder Konflikte zu provozieren, ist kein Zeichen von Boshaftigkeit oder Manipulation. Es ist ein Schutzmechanismus.
Hinter diesem Verhalten steckt oft:
- Die Angst vor Abhängigkeit: Nähe wird als gefährlich empfunden, weil sie das Gefühl gibt, verletzlich zu sein.
- Die Angst vor dem „Ich selbst sein“: Wenn ich mich wirklich zeige – mit all meinen Schwächen, Bedürfnissen und Gefühlen – könnte ich abgelehnt werden.
- Alte Glaubenssätze aus der Kindheit: Viele bindungsängstliche Menschen haben gelernt, dass sie so wie sie sind, nicht liebenswert, bzw. nicht gut genug sind. Also versuchen sie unbewusst genug Abstand zu halten, damit ihre Unzulänglichkeiten nicht erkannt werden, oder damit es nicht zu schmerzhaft wird, wenn sie dafür verlassen werden.
Wie du aus dem Muster aussteigen kannst – und Nähe zulassen lernst
1. Erkenne deine „Nebenkriegsschauplätze“
Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, wann und wie du Konflikte erschaffst.
- Wann hast du das letzte Mal eine liebevolle Geste deines Partners hinterfragt?
- In welchen Momenten spürst du das Bedürfnis, Distanz zu schaffen?
Das Erkennen dieser Muster ist der erste Schritt zur Veränderung.
2. Spüre deine Angst hinter dem Vorwurf
Wenn du dich das nächste Mal dabei ertappst, dass du dich über etwas „Kleines“ aufregst, halte kurz inne und frage dich:
„Wovor habe ich gerade wirklich Angst?“
„Fühle ich mich zu nah? Überfordert? Verletzlich?“
Oft steckt hinter dem Vorwurf eine tiefe Unsicherheit – oder das Bedürfnis nach Kontrolle.
3. Teile deine Gefühle – nicht deine Vorwürfe
Statt zu sagen:
- „Du hast es wieder nicht richtig gemacht“, – oder neue Forderungen zu stellen.
Probiere:
- „Ich merke, dass ich mich gerade überfordert fühle und mich distanzieren will. Aber eigentlich wünsche ich mir Nähe – ich weiß nur nicht genau, wie ich das zulassen kann.“
Das ist schwer – aber es kann Wunder bewirken.
4. Lerne, Nähe auszuhalten
Nähe muss nicht überwältigend sein. Sie kann langsam wachsen – in kleinen Schritten.
- Probiere es aus, einfach einen liebevollen Moment auszuhalten, ohne ihn zu hinterfragen.
- Lerne, Komplimente anzunehmen, ohne sie sofort zu relativieren.
- Erlaube dir, Verletzlichkeit zu zeigen – auch wenn es sich anfangs beängstigend anfühlt.
- Falls du dich dennoch zurückziehen willst, sprich mit deinem Partner über deine Gefühle, und erkläre ihm, dass er nichts falsch gemacht hat.
Fazit: Nähe beginnt dort, wo der Kampf endet
Wenn du dich immer wieder dabei ertappst, dass du deinem Partner Dinge „nicht recht machen“ lässt, frage dich:
- Will ich gerade wirklich diesen Streit – oder habe ich Angst vor der Nähe?
- Kann ich den Gedanken zulassen, dass mein Partner es gut mit mir meint?
Das Muster zu durchbrechen erfordert Mut. Aber es lohnt sich. Denn hinter all den Nebenkriegsschauplätzen wartet das, was du dir insgeheim wünschst:
Echte Nähe.
Liebevolle Verbindung.
Beiderseitige Selbstwertstärkung.
Und das Gefühl, einfach sein zu dürfen – ohne ständig auf der Hut zu sein.
Dein Uwe
P.S. Zu vielen Themen gebe ich ganz private Einblicke in mein Leben und mein Learning. Falls dich das interessiert klicke unten auf den roten Button „+ Wie das Thema der Woche mich betrifft“
Wie das Thema der Woche mich betrifft
Ich selbst habe selten Streite angefangen, weil ich mir meine Wut stets verboten hatte. Mir war die Harmonie immer wichtiger, obwohl ich durchaus meist der bindungsängstliche, bzw. der autonomere Teil war. Meine Freiheit habe ich mir selbst verschafft – auf passiv aggressive Weise. Dennoch wurde ich mit diesem Muster konfrontiert, denn einige Menschen brauchen eine gewisse Reibung, um sich gesehen zu fühlen. Meine Partnerin war der verlustängstliche Teil, der mehr Gemeinsamkeiten und Nähe einforderte. Gleichzeitig war sie leicht kränkbar, und eher jähzornig. Natürlich hatten wir viele gute Zeiten, doch ich war immer auf der Hut vor dem nächsten Wutausbruch. Dazu waren viele Anlässe geeignet:
Selbstverständlich war einiges davon meinem passiv aggressiven Verhalten geschuldet, während gleichzeitig ihre Reaktionen meine passive Aggression verstärkten. Ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist. Ich konnte es ihr nicht recht machen. Als ich das Spiel durchschaute, habe ich mich innerlich abgegrenzt. Sie war wütend, aber die Wut kam nicht mehr zu mir durch. Ich lies sie abtropfen, wie man so schön sagt. Das wiederum machte sie noch wütender, sie versuchte alles um eine Reaktion von mir zu bekommen, notfalls auch unter der Gürtellinie. Das war die Zeit, als ich den Respekt vor ihr verlor. Rückblickend ging es die ganze Zeit nie um die Situationen. Echte Nähe kannte sie nicht, sie erschien ihr bedrohlich. Streit war ihre Form von Kontakt, also das, was sie aus ihrer Kindheit kannte. Solange ich auf sie reagierte, waren wir in Verbindung. Erst als ich mich abwendete, wurde es ernst.
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Mach dir deine Beziehung schön,
Dein Uwe
Themenstruktur "Bindungsangst"
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